Freie Fahrt für Volker Wissing

Vielleicht hat man Verkehrsminister Volker Wissing doch falsch eingeschätzt. Schon bei seiner kuriosen Argumentation gegen Tempolimits („Es gibt nicht genug Schilder“) hatte man den Eindruck, dass er kein ernsthaftes Gegenargument hat und einige FDP-Positionen nur aus Parteiräson mitträgt. Dafür spricht auch, dass er sich gleich nach dem Ende der Ampelregierung für die langfristige Absicherung des Deutschlandtickets eingesetzt hat.

Indem er nach dem Austritt aus der FDP das Ministerium weiterführt, macht Wissing deutlich, dass er dem Volke dienen will und nicht Parteichef Lindner liebedienern. Dem Gedanken des Liberalismus aber bleibe er treu. Damit wohl auch der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“

Was heißt das nun für ein Tempolimit? Die „Freie Fahrt für freie Bürger“ schädigt auf massive Weise anderen Menschen. Mit Tempolimits von 120, 80 und 30 Stundenkilometern könnten jährlich viele Hunderte Unfalltote, Hunderttausende Verletzte, Lärm und jährlich bis zu elf Millionen Tonnen CO2 (!) sowie entsprechende Klimaschäden vermieden werden. Das Ganze auch noch mit minimalen Vermeidungskosten und ohne Schuldenbremse.

In der ganzen westlichen Welt gibt es allgemeine Tempolimits. Die große Mehrheit der Gesellschaft hätte Wissing auch in Deutschland hinter sich; in Umfragen plädieren 70 Prozent für ein Tempolimit auf Autobahnen. Über tausend Städte, Gemeinden und Landkreise fordern ein Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde innerorts. Selbst der ADAC hat vor Jahren seinen Widerstand aufgegeben. Auch glaubt keiner mehr ernsthaft, dass man die ins Schleudern geratene deutsche Automobilindustrie mit freier Raserei retten kann.

Was heißt das nun für Wissing? Was könnte er als Einzelner, als Minister einer Minderheitenregierung schon ausrichten? Alles! Denn allgemeine Tempolimits müssen NICHT im Bundestag abgestimmt werden (nur abschließend im Bundesrat, wo eine Mehrheit wahrscheinlich ist). Der Verkehrsminister kann Tempolimits auf Autobahnen, Landstraßen und innerorts mit einer einfachen Änderung der Verordnung zur Straßenverkehrsordnung festlegen – mit wenigen Zeilen und seiner Unterschrift. Dafür hat Wissing freie Fahrt!

Erschienen in der Frankfurter Rundschau vom 06.12.2024

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