Sündenfreier Wasserstoff?

Wasserstoff ist das leichteste Element des Periodensystems, aber keines, das man auf die leichte Schulter nehmen darf. Erstens ist Wasserstoff keine primäre Energiequelle wie etwa Erdöl, das in großem Maßstab und zu Schleuderpreisen verfügbar war. Vielmehr muss Wasserstoff als sekundärer Energieträger mit Hilfe anderer Energiequellen aus Wasser oder Methan hergestellt werden. Idealerweise mit Erneuerbaren Energien (Grüner Wasserstoff) oder übergangsweise aus Erdgas, bei dem das abgetrennte CO2 dann langzeitgespeichert wird (Blauer Wasserstoff). Atomenergie (Roter Wasserstoff) wäre zu risikoreich. Wasserstoff ist explosiv genug.

Zweitens eignet sich der teure Wasserstoff nicht für den Einsatz in Hausheizungen oder Pkw. Trotzdem wird versucht, überfällige Technologiewechsel mit Einsatz von Wasserstoff zu verhindern. Wer auf die Gaukelei der FDP hereinfällt, dass Wasserstoff-Heizungen eine gute Alternative zu Wärmepumpen seien, wird das bitter bezahlen. Der Einsatz von Wasserstoff sollte auf die Bereiche beschränkt werden, bei denen es keine günstigen CO2-arme Alternativen gibt: Stahlproduktion, Teile der Chemieindustrie, Flugverkehr, Schiffverkehr sowie Zwischenspeicher für Kraftwerke.

Drittens werden in Deutschland selbst für diese Anwendungen nicht genug Erneuerbare Energieanlagen entstehen. Der Platz ist im dichtbesiedelten Deutschland wirklich knapp und wird durch die Windkraft-Gegner noch knapper.

Viertens ist der Transport von Wasserstoff teuer, besonders per Schiff. Deswegen wird Wasserstoff in einer ersten Phase per Pipeline aus Skandinavien oder der iberischen Halbinsel kommen. Später aus dem „nur“ wenige Tausend Kilometer entfernten Nordafrika und der arabischen Halbinsel – per Pipeline oder Schiffstransport.

Und fünftens sollten die Sünden des Ölzeitalters nicht wiederholt werden. Der Bezug von Grünem Wasserstoff sollte aus möglichst vielen Ländern erfolgen. Länder mit Diktaturen sollten ausgeschlossen werden. Wichtige weitere Anforderungen an die Regulierung: Vorrang für die Energie- und Wasserversorgung der Bevölkerung in den Lieferländern, Erhalt der Biodiversität, faire Arbeitsbedingungen. Wer hierzulande Windkraftanlagen schon wegen nicht wahrnehmbarem Infraschall und Schattenwurf verhindert, findet vielleicht hier ein sinnvolles Betätigungsfeld.

Erschienen in der Frankfurter Rundschau vom 19.07.2024

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