Bahn frei - Kartoffelbrei

Beim Schlittenfahren in meiner Jugend war der gängige Warnruf „Bahn frei – Kartoffelbrei“. Sollte heißen: Wir preschen jetzt los, ohne Rücksicht auf Verluste. Nach dieser Methode wurde seit den 1990er Jahren die Bundesbahn kaputtsaniert. Mit dem Börsengang wurden 100.000 Stellen abgebaut und 11.000 Schienenkilometer stillgelegt, vor allem Nebenstrecken. Parallel ging die Bahn auf große Einkaufstour und verzettelte sich mit über 500 Tochtergesellschaften und Beteiligungen in der ganzen Welt. Die Kernkompetenz litt darunter erheblich: Das verkehrspolitisch fragwürdige Großprojekt Stuttgart 21 verzögert sich um zehn Jahre und wird um 360 % teurer als geplant. Der vierspurige Ausbau der Rheintalbahn Karlsruhe-Basel wird sich sogar um mehr als zwei Jahrzehnte bis 2041 verzögern. Im Staatsvertrag mit der Schweiz war 1996 festgelegt worden, dass die vierspurige Rheintalbahn etwa zeitgleich mit dem 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel fertig wird. Der ging 2016 und ohne Mehrkosten in Betrieb. Viele Kunden der Bundesbahn ärgern sich schon seit Jahren über „Verzögerungen im Betriebsablauf“, Unpünktlichkeit (2023 jeder zweite Fernzug), und ausbleibende oder widersprüchliche Informationen.

Mit dem 2020 von einem breiten Bündnis aus Politik und Wirtschaft vereinbarten „Schienenpakt“ sollte die Bahn raus aus diesem Schlamassel. Ziel war die Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 und die Erhöhung des Marktanteils im Güterverkehr auf 25%. Die jüngsten Kürzungen der Sanierungsmittel und die weiterhin unklare Finanzierung des Deutschlandtickets lassen Zweifel aufkommen, ob der Schienenpakt noch ernst genommen wird.

Dabei ist die eigentliche Dramatik der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Bahn heute noch gar nicht zu spüren. Denn das fehlende Personal und die aufwendige Sanierung der Hauptstrecken (zum Beispiel demnächst die halbjährige Vollsperrung der zentralen Linie Mannheim-Frankfurt) werden in den nächsten Jahren noch verstärkt zu Fahrzeitverlängerungen und Zugausfällen führen.

2030 könnte die Bahn dann wieder voll funktionieren – nur ist dann möglicherweise die Bahn frei von Kunden. Um das zu vermeiden, müssen der Schienenpakt und das Deutschland-Ticket partei- und institutionenübergreifend erneuert und finanziell für die nächsten zehn Jahre abgesichert werden.

Erschienen in der Frankfurter Rundschau vom 05.01.2024

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